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Unfassbar

Ausnahmsweise liefen die Dinge nun einmal in Heat-Geschwindigkeit ab.

(aus: Heat Wave, Richard Castle)

cemetery-91552_640.jpgVier Tage ist es jetzt her, seit dem das Unvermeidliche trotzdem vollkommen unerwartet eingetreten ist. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit und als sei es erst gestern gewesen. Ich stand im Flur, meine Frau in der Küche. Sie hat den Anruf bekommen und ihre durch das ganze Haus hörbare Reaktion reichte aus, um zu verstehen, was passiert war. Niemand hat es ausgesprochen, niemand musste es aussprechen. Dieser Moment geistert mir immer wieder durch den Kopf.

Das zweite Bild des Tages ist das Krankenzimmer. Friedlich lag er im Bett, fast so als würde er schlafen. Ein Bild, das ich nie vergessen werde. Das letzte Mal, dass ich meinen Vater gesehen habe. Ich hatte Robyn auf dem Arm, habe mich an ihm festgehalten. Ein letztes Mal seine Hand gedrückt, aber mehr als ein paar Sekunden habe ich es nicht ausgehalten.

Er war seit der Diagnose schon oft im Krankenhaus. Gelegentlich habe ich ihn vertreten, mit seinen Kunden gesprochen - die jahrelang auch meine waren - Sachen gesammelt und wenn es ihm besser ging, mit ihm besprochen. Ich weiß, dass er tot ist, aber es fühlt sich auch irgendwie so an, als wäre er nur wieder für ein paar Tage außer Gefecht.

Noch gestern bin ich aufgewacht. Im Halbschlaf liefen ein paar Fragen und anstehende Entscheidungen ab und für einen Moment war mir klar, dass wir, er und ich, das ja bald alles besprechen und klären können. Dann kam langsam die Erkenntnis: Es war nur ein Traumrest. Wir werden nie wieder miteinander sprechen können. Der Kopf weiß es, aber das Herz weigert sich, es zu glauben.

Vier Tage, fast eine Woche, die sich dennoch anfühlt wie eine Ewigkeit. Mit Arbeit und Vorbereitungen für die anstehenden Chor-Aufführungen war ich sowieso ausgeplant. Jetzt kamen noch diverse Termine mit Bestatter, Friedhofsverwaltung und Pastorin dazu. Es kommt mir vor, als wäre seit dem Horror-Sonntag schon eine Ewigkeit vergangen. So viele Dinge sind erledigt, einige stehen noch aus. Das Leben überrollt mich mit Heat-Geschwindigkeit und ich lasse mich einfach mittreiben.

Ein Teil von mir möchte sich einfach nur einmauern: Keine Arbeit, keine Beerdigung, einfach einen kleinen Zeitsprung machen, bis alles vorbei ist. Aber dieser Teil weiß auch, dass es das Falscheste wäre, was ich machen kann. Ich würde tief in meiner Trauer versinken und vielleicht nicht wieder raus finden.

Der andere Teil bewältigt die Situation so, wie auch die anderen Verluste der letzten Jahre, angefangen mit meiner Oma, die selbst kurz vor der Dreistelligkeit noch ein Vorbild für mich war: Arbeit, Ablenkung und zwischendurch die Trauer zulassen. Bei allen Anderen stand am Ende ein Blog-Post und das Schlimmste war überstanden. Dieses Mal hat der letzte Post nicht ausgereicht, immer wieder kommt zwischendurch ein Gedanke durch und lenkt mich ab.

Nächste Woche ist die Beerdigung. Ein Tag, der bis Mittags relativ normal verlaufen wird. Dann steht der Weg zum Friedhof an und langsam drängt sich das Bevorstehende in den Vordergrund. Nach dem Gottesdienst kommt der schwerste Moment: Der letzte Abschied. Danach, das weiß ich jetzt schon, wäre ich am liebsten alleine, nur für ein paar Minuten, aber das geht dieses Mal nicht.

Die vergangenen Jahre haben es einfacher gemacht, im Haus meiner Eltern zu sein, ohne das er da ist. Die Zeiten im Krankenhaus haben es zu Gewohnheit werden lassen, aber trotzdem ist es etwas anderes.

Der plötzliche Abschied von dieser Welt war das Beste, was ihm passieren konnte. Sein Tod kam so überraschend und plötzlich, das er es wohl gar nicht mitbekommen hat. Vermutlich wäre es etwas einfacher gewesen, wenn es vorher Anzeichen gegeben hätte, aber es ging ihm noch so gut wie in den Wochen und Monaten zuvor. Allen war klar, dass er dem Krebs schon vergleichsweise lange getrotzt hatte, aber "vielleicht nur noch ein paar Monate" ist etwas, das sich so leicht in die Zukunft verschieben lässt. Wirklich realisiert, dass letztes Jahr mit absehbar ziemlicher Sicherheit sein letztes Weihnachten war, habe ich nicht.

Jetzt ist er fort und wird nie wieder zurückkommen. Und ich kann das Unfassbare immer noch nicht fassen.

 

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