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Gras

Mit Gras tun sich monströse Welten auf. Gras hat Suchtpotential, aber die Kennenlernphase ist sehr lang. Natürlich gibt es auch eine Kehrseite: Mit gefällt nicht alles daran und deswegen kann ich auch keine uneingeschränkte Empfehlung aussprechen. Trotzdem: Durchaus einen Versuch wert und keine verschenkte Zeit.

gras.jpgDie Rede ist selbstverständlich nicht von rauchbaren Suchtmitteln, sondern von schwarzer Farbe die kunstvoll auf plattem, gebleichtem Baum arrangiert wurde: Gras ist Teil der Monströse Welten Reihe von Sheri S. Tepper. Pharmama hat mir ganz hinterhältig Lust auf das Buch gemacht, aber dabei leider verschwiegen, dass es seit Jahren nicht mehr lieferbar ist. Hier also der eindeutige Hinweis:

Das hier rezensierte Buch ist nicht mehr lieferbar! Wenn überhaupt, dann nur noch gebraucht!

Gras

Reue, Semeling und die meisten anderen sind mehr oder weniger der Erde ähnlich: Sie sind massiv von Menschen überbevölkert. Zwei Kinder sind erlaubt, wer darüber hinaus schwanger wird oder ein Kind zeugt, dem droht die Todesstrafe. Über die Einhaltung wacht Heiligkeit, die neue Welt- bzw. Galaxierelegion. Christen und andere sind nur noch geduldete Splittergruppen.

Gras ist anders: Der Planet besteht aus endlosen Graslandschaften mit wenigen kleinen Inseln der menschlichen Besiedlung. Auf Gras ist Heiligkeit bedeutungslos: Die herrschenden Aristrokraten, die Bons, brauchen keine Religion und schon gar keine Geburtenkontrolle. Es herrscht Monogamie, aber nur bezogen auf die Ehe - das Bett wird mit jedem geteilt, der gerade begehrenswert erscheint oder einfach nur jemandem, der gerade nicht auf der Jagd ist, die fast alle reinrassigen Aristrokraten im Frühling und Herbst beschäftigt.

Gras unterscheidet sich noch in einem anderen wichtigen Punkt von den anderen Planeten, denn hier scheint die Pest nicht zu existieren. Ausgerechnet ein Altkatholiken-Ehepaar wird samt Priestern und Mätresse von Heiligkeit nach Gras geschickt, um ein Heilmittel gegen die Pest zu finden oder einfach nur zu bestätigen, dass die Bewohner von Gras die Pest besser zu verstecken verstehen, als der Rest der bewohnten Planeten.

Die aber haben starke Antipathien gegenüber Fremden und ihre ganz eigenen Sorgen. Kaum eine Jagd verläuft ohne Jagdunfall. Bestenfalls verliert ein Jäger Gliedmaßen oder sein Leben, schlimmstenfalls verschwindet ein junges Mädchen bei einer seiner ersten Jagdten spurlos. Es zu suchen wäre in den Weiten der Graslandschaft aussichtslos und obendrein tödlich, denn außerhalb der sicheren Siedlungen herrschen Hippae und andere wilde Tiere.

Dann verschwindet die junge Tochter der Botschafter und zum ersten Mal können die Eltern den Verlust nicht einfach akzeptieren, sondern fangen an, unangenehme Fragen zu stellen...

Langer Anlauf

Das erste Drittel, vielleicht sogar die Hälfte des Buches ergeht sich in ausführlichen Beschreibungen: Mehr als ein Dutzend Hauptcharaktere mit meistens unaussprechlichen Namen werden eingeführt, viele Hintergründe erklärt und endlose Graslandschaften in allen Farben des Regenbogens beschreiben. Ich habe schnell den Überblick verloren, wer jetzt mit wem verheiratet ist, zu welcher Familie gehört. Ein Teil der Figuren taucht später gar nicht wieder auf, dafür kommen immer neue dazu.

In diesem Teil des Buches springt die Geschichte teilweise von einem Absatz zum nächsten über Monate hinweg. Dann wieder laufen Kapitel nahezu zeitgleich auf unterschiedlichen Planeten. Einige Überraschungen sind leicht vorhersehbar und die Bewohner einer fernen Zukunft zeigen zeitweise scheinbar Verhaltensweisen aus dem vorletzten Jahrhundert.

Überraschendes Finale

Wenn die Action allerdings erst mal los geht, dann reißt sie einen mit. Ob man am Rand der heiligen Karverne im flachen Gras liegt und mit jedem Herzschlag die Entdeckung - und damit den sicheren Tod - befürchtet oder sich die Geschichte ganz spontan anders als erwartet entwickelt und lockere Handlungsfäden der letzten hundert Seiten sich aufeinmal zu einem komplex gemusterten Stoff verweben - die Spannung reißt bis zum Schluss nicht ab.

Nach dem Erklärungen aus Sicht der Bewohner von Gras werden Pferde, Hunde, Füchse und Maulwürfe aus der Sicht der unerwünschten Erdlinge beschrieben. Was am Anfang eine Ungereimtheit und schlechte Planung der beschriebenen Welt schien, wird auf einmal klar.

Keine der Hauptfiguren hat eine Überlebensgarantie, schon zwischendurch sterben immer wieder wichtige Charaktere. Das schafft noch mehr Spannung, weil niemand vor den Überraschungen sicher ist, die Gras immer wieder bietet. Am Ende steht die alles entscheidende Schlacht, ein fulminantes Finale bei dem sich die Special-Effect-Crews richtig austoben können - oder doch nicht? Selbst das bei SciFi schon fast obligatorische Abschlussgemetzel fällt kleiner und wesentlich kürzer als erwartet aus und auch der Sieger ist überraschend. Das eigentliche Ende des Buches folgt und löst zum Schluss alle offenen Fragen.

Insgesamt eine Leseempfehlung. Ein schönes Buch, aber nicht das beste SciFi Buch das ich gelesen habe.

PS: Nicht den Klappentext lesen! Er ist absolut schlecht geschrieben, zum Teil falsch und verrät viel zu viel.

 

2 Kommentare. Schreib was dazu

  1. Zu viele Charaktere am Anfang beschreiben, hasse ich, besonders wenn sie schon bald wieder verschwinden. Da mag ich Herrn King lieber, der Personen kaum beschreibt und teilweise nur Namen wie Mr. Rotmantel oder so, macht mehr spielraum für den kopf :D
    Inhaltlich klingt das ganze recht spannend, also wenn du es irgendwann mal loswerden möchtest ;)

    Gruß Schafi

    • Sebastian

      Ich habe eine kleine Macke: Bücher die ich einmal gelesen habe, behalte ich, weil ich sie meist irgendwann später nochmal lesen möchte. Deswegen wird das mit dem "loswerden" wohl nichts. Aber bei Amazon gibt es Gras derzeit gebraucht für 1,55 Euro, das hat auch mir die Entscheidung vereinfacht.

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