Seitenanfang

Flauschig weiße Erkenntnis

Einfach reinsetzen und losfliegen, so inszeniert Hollywood üblicherweise Kleinflugzeuge. In der Realität wird das Flugzeug - immerhin das einzige, was zwischen Mensch und Erdboden steht - sehr genau überprüft. Selbst wenn der Motor läuft, werden noch lange Checklisten abgearbeitet, bevor es endlich in die Luft geht. Noch wichtiger ist allerdings die Vorbereitung zu Hause, um die zwei häufigsten Unfallursachen zu vermeiden: Spritmangel und Wetter.

Mein wichtigster Ort: Über den WolkenHeute bin ich - wieder einmal - zu einer Dienstreise aufgebrochen. Anderhalb Flugstunden oder fast vier Stunden Bahn weckten durchaus das Verlangen, die Strecke am Himmel zurückzulegen. Sprit ist grundsätzlich kein Problem: Ich nehme immer mindestens genug bis zum Ziel plus Flug zum Ausweichflughafen plus 30 bis 60 Minuten Reserve mit und wenn ich alleine unterwegs bin, ist immer genug Zuladung übrig um vollzutanken - fast 5 Stunden Gesamtflugzeit.

Bleibt das Wetter. In zwei Tagen soll es wieder zurück gehen und so müssen die Launen der Regen-, Wind- und Wolkengötter lange genug vorhersehbar stabil bleiben, um auch wieder sicher zurück zu kommen. Nach den positiven Prognosen der vergangenen Tage hatte ich gestern schon die Flugplanung fertig, als der neuste Wetterbericht zum Spielverderber wurde: Morgens Nebel und Hochnebel auf der gesamten Strecke - leicht zu überfliegen, aber bei solchen Bedingungen darf ich weder starten noch landen. Noch schlimmer war die Mittwochsvorhersage: Ein Regengebiet zieht von Nordwest rein und erreicht Abends - zur Zeit meines geplanten und nicht vorverlegbaren Rückflugs - den Startflughafen. Kurz gesagt: Wenn sich die Vorhersage auch nur um 10km irrt, sitze ich fest und falls nicht, fliege ich parallel in geringer Entfernung zu einer Wetterfront. Machbar, aber alles andere als angenehm.

Allerdings tendieren die Vorhersagen der nächsten drei Tage dazu, nicht sehr genug zu sein - vielleicht würde ich in strahlend blauem Himmel zurückfliegen oder drei weitere Tage festsitzen und das Risiko war mir definitv zu groß. Ich vermeide es wann immer möglich, im Cockpit bei grenzwertigen Bedingungen eine Entscheidung treffen zu müssen. Wenn dann noch ein Geschäftstermin Druck ausübt...

Also stieg ich um auf den Zug - wie bisher bei allen geplanten und letztendlich abgesagten Flügen zu diesem Ziel. Meist wurde ich unterwegs von strahlend blauem Himmel mit perfektem Flugwetter ausgelacht und auch heute zeigten sich perfekte Bedingungen - über der vorhergesagten Nebelschicht und einer nicht vorhergesagten Wolkenschicht!

Irgendwo in den Kassler Bergen wurde mir beim Blick aus dem Zugfenster dann bewusst, welche Wettersituation ich mir habe entgehen lassen: In ein paar Metern Höhe lag die Nebeldecke dicht und ohne irgendwelche Anstalten zu machen, sich aufzulösen. Darüber lagen zwei Wolkenschichten mit ein paar Löchern, groß genug, um den blauen Himmel zu erahnen, aber viel zu klein, um durchzufliegen.

Über den Wolken musste ein fantastisches Bild herrschen: Klare Luft, weil der ganze Wasserdampf in den Wolken gefangen war und eine wunderschöne weiße Watteschicht (weit) unter dem Flugzeug.

Von unten war allerdings mehr zu sehen: Die untere Wolkenschicht lag an den Berghängen auf. Währe ich in Hannover in marginalen Bedingungen gestartet und hätte drauf vertraut, über dem Nebel bestes Flugwetter vorzufinden, hätte ich mich zwischen einer - Richtung Berge vermutlich dichter werdenden - Nebeldecke und einer relativ dichten Wolkenschicht wiedergefunden, die zwar nicht allzu dick war, für mich als Sichtflieger aber trotzdem ein unüberwindbares Hindernis darstellt.

In den Bergen - auch wenn es im Vergleich zu dem in Bayern und Österreich üblichen eher Hügelchen sind - hätten sich Nebel und Wolken irgendwann vereinigt und mich gefangen. Ich hätte zwar noch umkehren können, aber es sind schon wesentlich erfahrene Piloten auf ansteigendem Gelände aufgeschlagen, weil sie das Wetter unterschätzt haben. Es gibt sogar eine Abkürzung dafür: CFIT - Controlled Flight into Terrain bedeutet, dass der Pilot ein vollkommen intaktes Flugzeug unter Kontrolle und ohne es zu wissen trotzdem unsanft in den Boden geflogen hat.

Wäre ich umgedreht? Ohne die Situation und Aussicht im Cockpit tatsächlich erlebt zu haben, ist das sehr schwer zu sagen. Eigentlich bin ich übervorsichtig, aber bisher stand ich auch noch nie unter dem Termindruck eines Arbeitstages...

Ein beliebter Pilotenspruch besagt: Außergewöhnliche Piloten nutzen ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten um Situationen zu vermeiden, in denen sie ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten brauchen. Ich bin auf jeden Fall kein außergewöhnlich guter Pilot, eher ein ängstlicher, der auch den einen oder anderen eigentlich machbaren Flug abbläst, aber heute im Zug bei dem Blick aus dem Fenster war ich wirklich froh, auf mein Bauchgefühl gehört und so alle potentiell tödlichen Entscheidungen vermieden zu haben.

 

2 Kommentare. Schreib was dazu

  1. Gut so... :)

  2. Jedes mal, wenn in den Nachrichten wieder ein tragischer Absturz eines Kleinflugzeuges gebracht wird, muss ich an dich und deine Familie denken. Immer.
    Ich bin froh, dass du ein ängstlicher Flieger bist. Ehrlich :)

    Ganz liebe Grüße
    Sylvia

Schreib was dazu

Die folgenden HTML-Tags sind erlaubt:<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>