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Beerdigung vor Weihnachten

Gestern hatte ich schon ungewollt ein Blog-Thema und das heutige ist auch nicht besser, allerdings nicht aus dem Leben, ganz im Gegenteil. Am Freitag ist ein Bekannter ins Krankenhaus eingeliefert worden und sollte - nach unauffälligen Untersuchungsergebnissen - am Montag entlassen werden, damit er seinen Geburtstag zu Hause feiern kann. Statt dessen ist er Montag plötzlich im Krankenhaus gestorben und heute war seine Beerdigung.

Eigentlich habe ich ihn in den letzten 15 Jahren kaum gesehen. Vielleicht ein paar Mal im Jahr haben wir uns gegrüßt und das war's. Als Kind hatten wir noch mehr Kontakt, auch wenn er einer ganz anderen Generation entstammte. Zur Beerdigung bin ich eigentlich auch nur gegangen, weil meine Mutter mich bat, mitzukommen - sie kannten sich besser.

Man sollte sich bei einer Beerdigung an den Menschen erinnern, der da vorne liegt, aber meine Gedanken schweifen immer ab. Zugegeben, ich beschäftige mich selten mit dem Tod, aber bei solchen Veranstaltungen kommt man nicht drumherum und vielleicht ist das ganz gut so. Die erste Beerdigung, an die ich grobe Erinnerungen habe, war die meiner Großmutter. Bei ihr war es ein Schlaganfall, Krankenhausaufenthalt und absehbares Ende, aber ich war noch viel zu klein um das alles zu verstehen. Selbst als meine Eltern angesichts des absehbaren Endes Abschied nahmen, realisierte ich es noch nicht, erst bei der Beerdigung. Solche Ereignisse brennen sich ins Gedächtnis, auch wenn ich damals irgendwas zwischen 6 und 10 gewesen sein muss.

Die nächste Beerdigung, die mir noch im Gedächtnis ist, liegt erst wenige Jahre zurück. Meine andere Großmutter hatte nicht lange vor der Dreistelligkeit der Lebenswille verlassen. Wir standen im Stau und kamen zu spät zur Trauerfeier, worum ich gar nicht böse war. Ich nehme solche Ereignisse zur Kenntnis, aber verdränge sie normalerweise bis es nicht mehr geht. In diesem Fall, bis ich an ihrem Grab stand. Diese Erinnerungen kamen heute auch wieder durch.

Ebenso der Gedanke an Bea. Es wird zwar vermutlich noch einige Zeit dauern, aber irgendwann wird sie da vorne liegen und jemand wird ihr Leben zusammenfassen. Ich möchte nicht daran denken, aber kann es auch nicht vermeiden. Sie ist schwer krank und ihr Weg ist vorgezeichnet, auch wenn noch niemand einschätzen kann, wie lange dieser Weg bei Ihr noch dauern wird. Ich habe, wenn nichts dazwischen kommt, vermutlich noch etwa 40 bis 70 Jahre, bei meiner Frau dürfte es ähnlich aussehen, Bea aber mit ziemlicher Sicherheit nicht. Es ist egoistisch, aber ich möchte sie nicht da vorne liegen sehen (oder wissen), möchte mich nicht vorher um die Einzelheiten kümmern müssen und möchte sie auch nicht verabschieden.

Derjenige, der heute vorne lag, war mir recht unbekannt. Ich wusste nicht, dass er noch vor der eigenen Schulzeit seinen Vater verloren hatte, wusste nur ansatzweise, welche Hobbys er hatte und gar nicht, dass er die halbe Welt bereist hatte.

Es hätte auch ganz anders sein können. Noch vor zwei oder drei Monaten verging nicht ein Tag, an dem ich nicht jemand anderen, mir viel nahestehenderen dort vorne liegen sehen habe. Die Diagnose Krebs war ein Schock, aber damals hätte ich mir nichteinmal vorstellen können, wie es ist, dieses auf und ab zu erleben. Heute verabschiedet man sich noch, eine OP, ein paar Tage Intensivstation... bis zum nächsten Schock, der nächsten Komplikation. Ich konnte mir nicht vorstellen, Zoe mitten im Mittagskreis aus den Kindergarten zu reißen, unfähig auch nur ein paar erklärende Worte abgeben zu können, um schnellstmöglich ins Krankenhaus zu fahren.

Der Krebs - ich mag es immernoch kaum aussprechen oder schreiben - scheint mittlerweile besiegt. Genau weiß man das erst in ein paar Jahren, wenn bis dahin nichts wiedergekommen ist und auch wenn die Rekonvaleszenz noch ein paar Monate in Anspruch nehmen wird, liegen alle denkbaren Komplikationen bereits hinter uns. Trotzdem kam er heute nochmal durch und so intensiv wie in den ganzen Monaten nicht: Der Gedanken, bald jemand ganz anderen zu Grabe tragen zu müssen.

In solchen Momenten wird einem auch klar, welches Bild US-Serien und Spielfilme uns vermitteln. Der Held schießt wild um sich und ein dutzend Gegner liegt am Boden, selbstverständlich tot. Natürlich waren sie die Bösen, aber in der Realität haben auch die Bösen Familie und Freunde, die dann um sie trauern. Dieser Teil wird im Fernsehen natürlich ausgeblendet. Peng, theatralisch umfallen und aus dem Sinn. So sehr abgestumpft sind wir schon, dass uns gar nicht mehr auffällt, wie viele Beerdigungen das Fernsehen nicht zeigt.

Bei "Under the dome" sterben schon in der Pilotfolge 12 Menschen einer eingeschlossenen Kleinstadt. Scheinbar haben sie aber keinerlei Angehörige, denn alle machen mehr oder weniger normal weiter mit ihrem Leben. Die ersten Folgen behandeln die nächsten anderhalb Tage - aber man sieht keine trauenden Menschen, keine Beerdigungen und niemanden, der schwarz trägt. So viel zur realistischen Darstellung. Aber die Vorlage stammt von Stephen King und muss damit wohl nur Horror und nicht realistisch sein.

Als wir vorhin die Kapelle verließen, regnete es. Ein leichter Sommerregen, wie er um diese Jahreszeit - eine Woche vor Weihnachten - mittlerweile anscheinend normal ist. Normalerweise lege ich nicht viel Wert darauf, nassgeregnet zu werden, aber vorhin war der Regen ein willkommene Erfrischung. Man sollte, so die Grabrede, seine Trauer auf dem Friedhof lassen und mit einem fröhlichen Gedanken wieder weg gehen. Aber das klappt nicht immer und manchmal muss man seine Trauer in einem Blogpost lassen, damit man sie wieder verdrängen kann. Bis zum nächsten Anlass, der hoffentlich nicht so bald kommt...

 

3 Kommentare. Schreib was dazu

  1. Der Tod ist meistens 'unvorhersehbar'...
    Man rechnet auf der einen Seite immer mit ihm, und plötzlich kommt er dann doch in genau dem Moment, wenn man es nicht erwartet.
    Ich kann Deine Gedanken anhand eigener Erfahrungen sehr gut nachvollziehen.

  2. "So sehr abgestumpft sind wir schon, dass uns gar nicht mehr auffällt, wie viele Beerdigungen das Fernsehen nicht zeigt."

    Ist der schönste Satz, den ich heute gelesen habe. Ich habe mich das nämlich auch schon so oft überlegt. Aber man sieht ja genauso selten, dass die Leute auf die Toilette müssen. Wenn sie nicht zur Handlung beiträgt, wird die Realität in den Filmen einfach ausgeblendet!

  3. Mein Beileid. Ich war noch nie auf einer Beerdigung. Sehr traurig, wenn der Tod so plötzlich kommt. Über den Tod Gedanken gemacht habe ich mir auch noch nie so wirklich, meine Großeltern leben alle noch.

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