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Kind weg

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Heute nach der Schule war es soweit - Bea's Umzug stand an.

Der Tag begann schon ungewöhnlich, denn anstatt regulär zur Schule zu fahren durfte Bea Zoe mit in den Kindergarten bringen und danach ging es zur angekündigten Blutentnahme. Glücklicherweise konnte sie schon wieder weitgehend laufen, wenn auch noch etwas humpelnd.

Als sie aus der Schule kam ging es gleich los: Erst zum Kindergarten, Zoe einfangen, und dann weiter zur Wohngruppe. Den ganzen Tag über hatte sie schon verstärkt Anfälle und auch während der Autofahrt vergingen keine 5 Minuten ohne Anfall, darunter ein ziemlich intensiver nachdem sie einige Minuten brauchte um sich wieder zu erholen.

Am Ziel angekommen war alles irgendwie interessant, schnell hat sie ihr neues Zimmer und Bett in Beschlag genommen und sich erstmal hingekuschelt während wir ihre Sachen aus dem Auto holten. Zwei große Umzugskartons, eine Reisetasche, eine Spielzeugkiste, ihr Lieblingsrucksack - das ist das Leben unsere "Großen".

Während sie sich ausruhte und Zoe mit den anderen Kindern den Außenbereich erforschte haben wir das Übergabegespräch hinter uns gebracht: Was isst sie gerne und was gar nicht, welche Medi's braucht sie wann, wie ist das mit einschlafen und aufstehen, Windelbestellung, Ärzten und Schule. Unser Kind - auf einer A4 Seite zusammengeschrieben. Erzählt haben wir die meisten Dinge schon hundert Mal: Bei Ärzten, Therapeuten, im Kindergarten und in der Schule oder bevor sie bei dem Großelten übernachtet hatte, das war auch gar nicht das Problem, eher Routine.

Weh taten dagegen die Rückfragen, Selbstverständlichkeiten dort und gar nicht böse gemeint, aber in diesen Momenten wurde mir auch innerlich klar, dass es keine Schulübernachtung, Klassenfahrt oder kinderfreies Wochenende ist, sondern ein Umzug. Für immer. Ein halbwegs erwachsenes, weitgehend selbstständiges Kind loszulassen muss schwer sein, aber ein Kind gehen zu lassen - sogar aktiv wegzubringen - dass permanente Pflege brauchte und das sich im Laufe der letzten 13 Jahre kein bisschen "abgenabelt" hat, zerreißt einem das Elternherz.

Bea blättert gerne Zeitschriften durch, die Bilder oder Texte sind egal, einfach nur das blättern findet sie gut. "Sie bekommt ja Taschengeld, davon kann sie sich dann welche kaufen" - Tiefschlag. Unbeabsichtigt stellte die Erzieherin damit klar: Sie gehört jetzt uns, Du hast jetzt nichts mehr zu sagen was ihr Leben angeht.

"Wollen Sie Kontakt mit ihr halten" - der nächste Volltreffer. Wir wollen sie gar nicht gehen lassen.

"Wir müssen sie in den nächsten zwei Wochen erstmal kennenlernen" - noch einer, die nächsten zwei Wochen werden wie sie nicht sehen, wahrscheinlich eher noch länger, dann besprechen wir "Besuchszeiten" an denen sie nach Hause kommen darf. "Nach Hause" ist auch nicht mehr richtig, sie ist ja jetzt zu Hause. In ihrem neuen Zuhause.

Nach etwas mehr als einer Stunde war alles gelaufen, (hoffentlich) alle wichtigen Sachen ausgetauscht und der Abschied stand an. Ich habe es nicht geschafft, sie in den Arm zu nehmen oder Zoe zu sagen dass sie sich verabschieden sollte, ich konnte ihr nicht mehr sagen, das ich sie lieb hab, auch wenn sie es vermutlich gar nicht verstanden hätte, ich konnte ihr nicht noch einmal den Rücken streichen wie sie es immer eingefordert hat, sonst wären die Tränen durchgekommen. Ein Küsschen auf den Kopf - das war unser Abschied nach 13 Jahren.

Bea muss das Alles ganz unvorbereitet getroffen haben, als wir gingen hat sie die anderen verabschiedet und Mama an der Hand genommen. Eine kleine, selbstverständliche Geste die meine emotionale Situation nicht gerade verbessert hat. Ich hätte sie ein bisschen in Richtung der Erzieherinnen und anderen Kinder schieben müssen - so wie immer wenn sie mit einer anderen Lehrerin, Oma oder dem Schulbusfahrer mitgehen sollte - aber ich habe es nicht übers Herz gebracht, es wäre die endgültige Geste gewesen: Wie schieben Dich ab, lassen Dich hier. Wir hätten vorher versuchen können es ihr zu erklären, aber sie hätte es nicht verstanden, selbst Zoe versteht es noch nicht vollkommen.

Noch während der Übergabe hatte meine Frau mit Bea's Neurologen gesprochen, obwohl er heute eigentlich nur Stationsdienst und keine Sprechstunde hat und er wollte kurzfristig gegen die viele kleinen Anfälle mit einem weiteren Medikament anfangen. Freitag Nachmittag, Montag Feiertag, bis Dienstag ein Kinderarzt - Bea's bisherige Kinderärztin ist jetzt ja auch nicht mehr zuständig - ein Rezept ausgestellt hätte, müsste sie rund 4 Tage warten und so wollte er ausnahmsweise selbst das Rezept schreiben. Also sind wir einmal durch die ganze Stadt zur Uniklinik gefahren, um das Rezept abzuholen und haben es in die für die Wohngruppe zuständige Apotheke gebracht. Quasi unsere letzte medizinische Amtshandlung für Bea und auch nicht sonderlich beruhigend und zeitweise standen uns beiden die Tränen in den Augen.

Jetzt sind wir unser Kind los. Ausgerechnet jetzt wo sie sich am Mittwoch noch eine dicke Beule, gestern einen verknacksten Fuß eingefangen und heute die schlimmste Anfallsserie seit dem Kindergarten hingelegt hat. Gerade jetzt, als unser Kind uns noch mehr brauchte als sonst.

Danach war glücklicherweise für Ablenkung gesorgt: Nachdem der Kühlschrank seit heute Mittag wieder funktioniert, wollte er natürlich wieder gefüllt werden und für Abends hatte sich Zoe's Patentante samt Tochter und Mutter zum Abendessen angekündigt, das half, auch das gerade als wir Zoe ins Bett bringen wollten ein Heißluftballon - offensichtlich kurz vor der Landung - keine 10 Meter über unserem Nachbarhaus hinweg schwebte - ein paar Häuser weiter waren es vielleicht noch 2 Meter.

Jetzt ist Zoe im Bett und schläft (hoffentlich), aber es ist unwirklich. Keine Bea wickeln, keine Medis geben, keine Schäfchen suchen, keine CD anmachen, kein Gute-Nacht-Ritual. Dafür Zoe's Frage, warum Bea's Zimmertür offen ist.

Zwischendurch hatten wir nochmal mit der Wohngruppe gesprochen: Erwartungsgemäß hat sich Bea halbwegs gut eingelebt, den Nachmittag über mit Kekse bestechen lassen, sogar ein klein wenig zu Abend gegessen (in fremder Umgebung mit fremden Leuten ist das bei Ihr äußerst ungewöhnlich) und mit den anderen Kindern ein bisschen ferngesehen. Sie ist geistig fast noch ein Baby dass - wenn die Grundbedürfnisse gestillt werden - fast überall und mit jedem recht bald zurechtkommt. Für sie war der heutige Tag auf jeden Fall am leichtesten.

Für das Wochenende haben wir wenigstens weitgehend vorgesorgt: Morgen ein Ausflug und Sonntag Großeltern besuchen und Zoe einen Wunsch erfüllen, das wird ablenken, auch wenn vermutlich in der nächsten Zeit so einige nach ihr fragen werden - angefangen möglicherweise mit den Beamten der Sicherheitsschleuse morgen am Flughafen, denn die kennen beide Kids mittlerweile auch schon. Ihr Headset wird morgen hier im Schrank liegen bleiben, unbenutzt, es mitzugeben macht keinen Sinn.

Jetzt, heute Abend, fällt mir ein wie wir den Übergang hätten gestalten sollen, aber es ist natürlich zu spät: Nach der Schule zum Spielen hinfahren, sie auch mal dort Abendessen lassen, vielleicht morgen früh zum Aufstehen dort sein. Vielleicht wäre es einfacher geworden - oder auch nicht. Besser eine langsame Entwöhnung über eine Woche oder - wie jetzt passiert - ein harter Schlussstrich? Ich weiß es nicht.

Ab sofort wird es hier weniger über Bea zu lesen geben, vermutlich kaum noch etwas, denn sie ist nicht mehr Teil unseres Lebens und wir sind nicht mehr Teil von ihrem. Sie hat eine neue Familie und ich hoffe dass sie dort glücklicher wird als sie es hier teilweise war. Es war wichtig und richtig, aber es tut weh.

Ich trockne jetzt meine Tastatur ab und mache dann Schluss für heute, noch ein bisschen Ablenk-Fernsehen und dann ins Bett - und werde sie morgen früh genauso vermissen wie jetzt.

 

12 Kommentare. Schreib was dazu

  1. Jetzt hab ich auch Tränen in den Augen...

  2. Brina

    Hi Cousin,
    auch wenn Bea jetzt nicht mehr bei euch wohnt, wird sie immer Teil eurer Familie sein. Sicherlich fühlt es sich momentan vielleicht nicht so an, aber wäre es nicht viel schlimmer, wenn Ihr eure Tochter in die Institution gebracht hättet und sie nicht vermissen würdet? Ihr liebt sie, und das wird sich nicht ändern. Nur weil die Kinder das Nest verlassen, bleiben sie noch immer unsere Kinder. Und das man sie irgendwann ziehen lassen muss, ist leider so. Die einen halt eher und die anderen später. Sicher könnt ihr sie bald besuchen und werdet spätestend dann erkennen, dass sie weiterhin Teil eures Lebens ist und immer bleiben wird....

  3. Harte Zeiten. Ich wünsch Dir und den Deinen jetzt schnell ein paar richtig gute Augenblicke, und dann später einen gut geregelten Alltag. Mit ganz normalen Besuchen, mit Selbstverständlichkeit, mit Routine.

  4. Ich verfolge deinen Blog jetzt schon seit einiger Zeit, aber bei dem Blogpost kamen mir auch die Tränen. Die Aussage der Erzieherin (wollen sie den kontakt halten) hat mich am meisten zum Nachdenken gebracht. Es scheint wohl üblich zu sein, dass Eltern den Kontakt dann völlig abbrechen?! Aber ich denke ihr seid da anders und bringt Bea noch viele Jahre Zeitschriften zum Blättern vorbei!

  5. Ich verfolge deinen Blog jetzt schon seit einiger Zeit, aber bei dem Blogpost kamen mir auch die Tränen. Die Aussage der Erzieherin (wollen sie den kontakt halten) hat mich am meisten zum Nachdenken gebracht. Es scheint wohl üblich zu sein, dass Eltern den Kontakt dann völlig abbrechen?! Aber ich denke ihr seid da anders und bringt Bea noch viele Jahre Zeitschriften zum Blättern vorbei!

  6. Ich verfolge deinen Blog jetzt schon seit einiger Zeit, aber bei dem Blogpost kamen mir auch die Tränen. Die Aussage der Erzieherin (wollen sie den kontakt halten) hat mich am meisten zum Nachdenken gebracht. Es scheint wohl üblich zu sein, dass Eltern den Kontakt dann völlig abbrechen?! Aber ich denke ihr seid da anders und bringt Bea noch viele Jahre Zeitschriften zum Blättern vorbei!

  7. und ich habe jetzt auch geweint aber bea und ihr schafft das

  8. und ich habe jetzt auch geweint aber bea und ihr schafft das

  9. und ich habe jetzt auch geweint aber bea und ihr schafft das

  10. Bibi

    Hey,
    ihr habt einen wichtigen und guten Schritt getan. Natürlich vermisst ihr euer Kind und es wird lange weh tun. Ihr konntet Euch doch auch gar nicht von ihr lösen, weswegen das ganze so radikal und schnell wirkt. Aber ihr schafft das und Bea wird immer ein Teil eures Lebens sein, ihr werdet sehen. In Gedanken sind wir bei Euch!
    Bibi und Chris

  11. Vera

    Hallo,
    ich kann mich meinen ganzen Vorrednern nur anschließen. Sie wird immer ein Teil eures Lebens sein. Ich werde sie auch vermissen wenn ich mal wieder zu Besuch komme. Und Dome auch, er hat doch immer so schön mit ihr gespielt. Es wird alles gut werden. Kopf hoch für euch alle.
    Vera, Yuna und Dome

  12. MiA

    Ihr seid eine tolle Familie, Bea wird immer Teil davon sein...
    Ich bewundere euch und eure Stärke. Mit Worten lässt sich das kaum ausdrücken. Ihr habt etwas wundervolles, kaum machbares geschafft. Zeit heilt Wunden, ein blöder Spruch, und doch so wahr. Bea wird immer bei euch sein, in euren Herzen, Gedanken und ihr bei ihr. Ganz sicher.
    Ich schicke euch eine Umarmung und viel Kraft!

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