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Helikoptereltern

Eigentlich wollte ich etwas ganz anderes machen und (mal wieder) heute über ein ganz anderes Thema schreiben - bis ich den Fehler gemacht habe, Feedly nach dem aktuellen Wir-mit-Kind-Post zu befragen. Dort geht es um Svenja, Mutter zweier gut behüteter Küken. Die beiden dürfen im zarten Alter von 8 bzw. 10 Jahren alleine über die Straße gehen, wenn Mama Svenja aufpasst, das nichts passiert.

Helikopter.jpgÜber den Original-Nido-Gastbeitrag von ihr kam ich auf weitere Seiten mit sehr unterschiedlichen Meinungen und habe mich festgelesen.

Svenja würde ich als "hobbylos" bezeichnen. Sie lebt nur für ihre Kinder, die möglichst in jedem Moment ihres jungen Lebens unter den wachsamen Augen ihrer Mutter stehen müssen. Die Zeit zwischen dem morgentlichen Abliefern in der Schule durch Mama und dem Abholen nach dem Unterricht muß grausam sein - frag sich nur, für wen.

Auch wenn Svenja die Führsorge ziemlich übertreibt und es sehr leicht fällt, beim Lesen ihres Textes einfach entsetzt mit dem Kopf zu schütteln - so einfach ist es nicht. Es gibt auch das andere Extrem: Eltern, die unter "Erziehung" einen eigenen Fernseher, Computer, Smartphone und ausreichend Taschengeld für die tägliche Ration FastFood verstehen. Vor einiger Zeit lernte ich eine Bloggerin kennen, deren Eltern schlichtweg ignoriert haben, das ihr Kind schwer mißbraucht wurde und nahezu täglich am Rand des Selbstmords stand. Mittlerweile hat sie Schluß gemacht - allerdings glücklicherweise nur mit ihrem alten Leben. Sie ist umgezogen, in Behandlung und (sehr) langsam zurück auf dem langen Weg in ein normales Leben. Mit Helikoptereltern wäre das nicht passiert.

Bei Bea haben wir dieses Erziehungsprinzip perfektioniert: In jedem Augenblick musste jemand sie im Auge haben, für sie Gefahren abschätzen alle Alltagsprobleme von ihr fern halten. Im Mai letzten Jahres wurde es dann noch extremer: Permanente Begleitung, immer jemand sprichtwörtlich an ihrer Seite, maximal eine Armlänge entfernt um sie sofort aufzufangen, wenn sie fallen sollte. Ein perfektes Beispiel für übervorsorgliche Eltern? Nein, ganz und gar nicht. Bea hat ganz einfach besondere Bedürfnisse, sie ist kein normales Kind und wir hätten ihr sehr gerne viel mehr Freiraum gelassen.

Zoe ist - mal wieder - das exakte Gegenteil: Wir versuchen, ihr ein Gefühl für Gefahren und ihre Grenzen zu vermitteln. Dazu gehört auch eine große Portion Vertrauen in das eigene Kind. Sie fährt alleine die halbe Strecke zum Kindergarten mit dem Fahrrad - weil ich mich darauf verlassen kann, dass sie an jeder Straße absteigt und auf Autos aufpasst. Sie geht alleine zu ihrer besten Freundin - aber nicht ohne Bescheid zu sagen, dass sie dort hin geht. Natürlich schaue ich immer wieder nach, ob sie tatsächlich auf dem Weg zum Kiga an der Straße anhält. Wenn wir unterwegs sind, ist es selbstverständlich, dass sie selbst nach Autos schaut (und Mama oder Papa anmeckert, wenn die es mal vergessen sollten).

Viel wichtiger, als jede Sekundes des Lebens meiner Tochter zu kontrollieren, ist mir der Rückhalt. Damit sind wir wieder bei Svenja und dem Grund, warum ich sie nicht so pauschal verurteilen möchte, wie viele der Kommentatoren zu ihrem Artikel es tun: Ihre Kinder können jederzeit zu ihr kommen und über ihre Sorgen sprechen. Genau das möchte ich auch bei Zoe erreichen: Sie soll ihre Freiheit geniessen, aber jederzeit zu uns kommen, wenn sie ein Pädophiler anspricht, sie gemobbt wird - oder einfach nur Stress mit ihrer Lieblingsfeindin im Kindergarten hatte, die ziemlich aufdringlich ist, weil sie so gerne Zoe's Freundin wäre.

Svenjas Kinder werden irgendwann in einer Welt aufwachen, in der Mama nicht jeden Schritt kontrolliert, sie in Watte packt und vor allen Gefahren des Alltags beschützt. Sie werden vielleicht auf der Uni oder im Job das aller erste Mal dumm angemacht werden und müssen dann auf die harte Tour lernen, dass man solche Sachen auch alleine verarbeiten muss. Sie müssen lernen, alleine über die Straße zu gehen und selbst zu schauen, ob Autos kommen.

In einem Punkt kann ich Svenja allerdings nicht zustimmen: Nicht jedes Kind, das alleine mit dem Fahrrad unterwegs ist, ist vernachlässigt. Ebenso sind nicht alle besorgten Eltern gleich Helis. Ihr Schubladendenken ist genau so falsch, wie viele Reaktionen, denn es kommt immer auf die individuelle Situation der Kinder - und Eltern - an. Wie bei Bea und Zoe.

 

4 Kommentare. Schreib was dazu

  1. Da fällt mir der Spruch ein, das wenn ein Kind dich dabei erwischt, wie du bei Rot über die Straße gehst, du dich gefälligst überfahren lässt ;)

    Sehr schöner Beitrag, ich könnte mich täglich über die vielen Svenjas bei mir im Dorf aufregen.
    Wir haben einen schönen Spielplatz im Dorf, leider sind meine 2 kleinen meist die einzigen Nutzer.
    Warum? Weil heute jeder seinen eigenen Spielplatz samt Trampolin und Klettergerüst im Garten hat. Warum das? in einer 200m Straße stehen 6 Trampoline im Garten, komischerweise sieht man aber nie Kinder im Garten. Man sieht auch nie Kinder auf der Straße. Bis auf meine. Zum Glück hab ich 2 (3 und 7 Jahre) ;)
    Eins alleine würde sich Tod langweilen heutzutage. Meine dürfen andere Besuchen, auch ohne vorher anzurufen, dürfen auf den Spielplatz ( der übrigens nicht in Sichtweite ist), in den Wald, auf die Wiesen und Felder. Mit dem Laufrad/Fahrrad auf die Straße vorm Haus. Bedingung ist das sie Bescheid sagen wohin sie gehen und zu einer ausgemachten Uhrzeit zurück sind (die Große hat ne kleine Kinderuhr)
    Bis jetzt hat das immer super geklappt auch wenn sie schon mal mit Schrammen und Kratzern nach Hause kommen. Ach ja ab und zu dürfen sie auch mal Fernsehen ;) und ungesundes Essen .
    In diesem Sinne
    schönes Wochenende

    Christian

  2. Dem ist nichts hinzuzufügen. Sehe ich ganz genauso.
    Der alte Goethe soll mal gesagt haben: "wenn die Kinder klein sind, gib ihnen Wurzeln. Wenn sie größer werden, gib ihnen Flügel."

  3. Meine Meinung zum Thema habe ich bei uns im Blog ja schon geschrieben - wir sind da nicht allzuweit auseinander, denke ich.

    Wo wir etwas weiter auseinander sind, ist beim heutigen Datum. Mensch, Sebastian, alter Zeitreisender: Der Artikel kommt aus der Zukunft, vom 02.09.2013, 15:57h?

  4. Jedes Kind ist anders, auch unter Geschwistern. Natürlich behütet man als Elternteil seine Kinder, aber man muss auch loslassen können. Wie sollen sonst die Kinder eigenständig werden? Von klein auf sollte man den Kindern kleine Aufgaben geben, damit sie lernen, mit Herausforderungen umzugehen. Und wenn sie die Aufgabe gemeistert haben, freuen sie sich zu allererst. Des Weiteren sollte man auf die Kinder eingehen, ihnen zuhören und die Ängste und Sorgen zerstreuen. Man sollte sich immer an seine eigene Kindheit zurückerinnern, auch wir waren nicht nur "Engel". Jedes Kind testet die Grenzen aus, warum auch nicht? Denn auch Kinder können aus ihren eigenen Fehlern lernen.

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